12.
Es gibt einige wenige Restaurants im Studio-Viertel von L.A., die man von einer Theaterbühne kaum unterscheiden kann. Eines davon ist das Morton. Dort dinieren die, die die Stars machen. Es heißt, daß das Restaurant für Peter Morton ein Zuschussbetrieb ist. Doch er will es nicht aufgeben, weil er zur Szene gehören will. Dann gibt es noch Le Dôme, das im Jargon auch Le Dump, die Bruchbude, genannt wird und als Zentrum der Schwulenmafia bezeichnet werden kann. Die Jungstars essen im The Ivy, und zwar sonntags. Zum Brunch gibt es vorwiegend Salate und kleine vegetarische Crêpes zu fünfzig Dollar das Stück. Und natürlich das Spago.
Die Touristen sind davon stets enttäuscht. Es sieht ja auch aus wie ein Teppichladen vor den Toren der Stadt. Doch innen leuchten die Augen der Stars. Hier traf Marty sich mit Paul Grasso zum Abendessen.
Marty setzte sich. Der Oberkellner hatte ihn zum besten Tisch geführt. Auf dem Weg dorthin hatte Marty kurz Stars und ihre Agenten begrüßt. Marty wartete, bis der Ober Martys Begleiterin Bethanie den Stuhl zurechtgerückt hatte. Erst danach wandte er sich ihr zu. »Tut mir leid, daß es später geworden ist, aber du weißt ja, wie das hier so geht.« Er musterte ihr hübsches Gesicht, die schönen Schultern, den tiefen Einschnitt zwischen ihren Brüsten, ihre babyfrische, sonnengebräunte Haut.
»Du siehst reizend aus heute abend, Bethanie«, sagte er galant und dachte, daß sie im Grunde alle gleich aussahen. Kalifornische Möchtegernstars. Er hatte Bethanie für Three for the Road in Erwägung gezogen. Doch allmählich beschlichen ihn Zweifel. Denn ihr fehlte das gewisse Etwas, trotz aller Schönheit. Er hatte gerade die Blondine gefunden, genauer Sy und Milton hatten sie gefunden, ein unverbrauchtes, junges Mädchen. Sharleen Irgendwas. Von ihr erwartete er sich eine tolle Wirkung. Mit Jahne Moore, die praktisch schon unterzeichnet hatte, verfügte er bereits über eine Dunkelhaarige. Sie spielte hervorragend. Ein guter Kontrast zu Sharleen. Würde Bethanie sein Dreigestirn komplett machen? Er brauchte eine Rothaarige, und Bethanie war blond. Doch Bethanie würde ihr Haar bereitwillig färben, wenn das erforderlich sein sollte. Sie würde sich sogar kahlscheren lassen, falls er das wünschte. Doch sie war alles andere als eine Unschuld und hatte schon in verschiedenen billigen Shows mitgewirkt. Also kein neues Gesicht. Und die Entscheidung mußte bald fallen.
Marty hatte sich nur mit Pauls Vorschlag eines gemeinsamen Essens einverstanden erklärt, weil sie als Nachbarskinder aufgewachsen waren. Sozusagen um der alten Freundschaft willen. An sich wollte Marty mit Paul nichts mehr zu tun haben. Der glitt immer mehr ab. Seine Spielleidenschaft drückte sich in seinem Gesicht aus. Andererseits verstand es Paul noch immer, Marty zum Lachen zu bringen. Um einen Gefallen würde Paul ihn nicht bitten. Denn Paul war stolz.
Außerdem hatte Paul Marty versichert, daß er nicht in Begleitung eines Möchtegernsternchens erscheinen würde. Paul schwärmte von ihrer Schönheit, betonte jedoch, daß sie reich sei. Obwohl sie aus Filmkreisen stammte, haßte sie alles, was damit zusammenhing. Paul wollte nur mit ihr schlafen. Auch das war typisch für Paul Grasso. Wenn sie wirklich so schön war, wie Paul behauptete, wäre es geschickter gewesen, er hätte sie einem Produzenten angedient und damit Geld verdient, statt daß er seine ganze Energie darauf verschwendete, mit ihr ins Bett zu gehen.
Marty wurde auf eine Frau in der Nähe des Eingangs aufmerksam. Mit beiden Händen umfaßte sie eine kleine seidene Abendtasche. Sie trug ein schwarzes Chiffonkleid und schien nur aus schönen Beinen zu bestehen. Diesen Eindruck erzeugten der kurze Rock, die passende schwarze Strumpfhose und schwarze Pumps. Sie war ungewöhnlich groß: Marty spürte seine Erregung. Das Oberteil ihres Kleides war tief ausgeschnitten und maßgeschneidert. Lächerlich dünne Spaghettiträger hielten den Stoff an den Stellen an denen er sich über die vollen Brüste spannte.
Marty fragte sich, wie er ihre Haarfarbe beschreiben sollte. Nicht einfach rot, eine wärmere, tiefere Farbe, noch aufregender als kastanienbraun. Sie trug als einzigen Schmuck einen Brillanten um den Hals und glitzernde Brillantohrringe. In einer Stadt, wo an jeder Straßenecke weibliche Schönheiten stehen, hatte diese Frau etwas Atemberaubendes. Außerdem kam sie ihm irgendwie bekannt vor. An sich vergaß Marty nie ein Gesicht.
Sie war sich der Aufmerksamkeit, die sie erregte, durchaus bewußt. Doch die prallte an ihr ab. Die Ruhe und Distanziertheit, die von ihr ausgingen, schufen einen Abstand zwischen ihr und ihrer Umgebung. Ein Mann gesellte sich an ihre Seite. Marty begriff, daß diese Frau Paul Grassos Freundin sein mußte.
Unfasslich! Marty hätte fast laut gelacht. Die Frau war entschieden eine Nummer zu groß für Paul, der sich normalerweise mit Mädchen begnügte, die er in Las Vegas oder an Bushaltestellen auflas.
Bethanie hatte, wie viele andere in dem Lokal, den dramatischen Auftritt verfolgt. Sie wandte sich an Marty. »Wer sind denn die beiden da?« Bethanie bekam es mit der Angst. Nachdem sie vor kurzem von diesem Lumpen Sam Shields fallen gelassen worden war, hatte sie nicht vor, diese Behandlung auch von Marty hinzunehmen. Sie kannte inzwischen die Überlebensregel von Hollywood: »Schlaf dich nach oben.« Nur Marty besaß bereits soviel Einfluß und Macht, daß er es sich leisten konnte, mit jemandem zu schlafen, der unter ihm rangierte.
»Ich werde dich gleich vorstellen.« Marty stand auf und reichte Paul die Hand. Doch er sah die junge Frau an, die ihn an jemanden erinnerte. »Schön, dich zu sehen, Paul. Das ist Bethanie Lake, Paul Grasso. Wir sind alte Freunde.«
Gutgelaunt schüttelte Paul Martys Hand. Er stellte seine Begleiterin vor.
Bethanie ließ sich ihr Missvergnügen anmerken. Scheiße, dachte sie. Muß diese Hure auch noch den ganzen Abend Marty gegenübersitzen? Immer hab ich Pech!
Lila betrachtete Bethanie nachdenklich. »Bethanie Lake. Haben Sie nicht die Leora in Houston gespielt?« Bethanie nickte. »Sie haben die Show gerade rechtzeitig verlassen«, fand Lila. »Danach rutschte sie ab.«
Bethanie begann sich zu entspannen. Doch Marty konnte den Blick nicht von Lila abwenden. Sie bewegte sich graziös. Was sie eben gesagt hatte, war obendrein ausgesprochen liebenswürdig gewesen. Jeder wußte, daß Bethanie damit einen Riesenbock geschossen hatte. Sie hatte eine erfolgreiche Serie zu einem Zeitpunkt verlassen, wo sie dauerhaften Ruhm einzubringen versprach, nur weil sie auf eine mittelmäßige Filmrolle scharf war. Der Film wurde prompt zum Flop. Ihr Agent hatte versucht, sie von diesem unsinnigen Schritt abzubringen, doch sie glaubte, es besser zu wissen. Damit hatte sie ihre Karriere geschmissen, falls Marty ihr nicht eine zweite Chance gab.
»Ich habe einen kalifornischen Weißwein bestellt, wenn es euch recht ist«, sagte Marty, als der Ober mit der Flasche erschien.
Lila legte die Hand über ihr Glas. »Ich hätte lieber einen Manhattan.« Marty nickte dem Kellner zu.
Wieder rätselte Marty an der Frage herum, woher er diese Frau kannte. »Sind wir uns schon einmal begegnet?« fragte er schließlich, obwohl das eine schrecklich abgedroschene Frage war und er sich deswegen schämte.
Lila lächelte und hob die schöngeschwungenen Brauen etwas höher. »Sie werden ja kaum die Westlake Mädchenschule kennen.« Sie wandte sich ab, als öde sie das alles an. »Nein, wir sind uns nie begegnet.« Doch dann, als besinne sie sich ihrer guten Manieren, fügte sie hinzu: »Es ist nett, daß Sie fragen.«
»Kann es sein, daß ich Sie schon einmal auf der Bühne gesehen habe?« Die Neugier ließ Marty keine Ruhe.
»Was ich bestimmt nicht mache, ist schauspielern. Meine Mutter hat versucht, mich in diese Laufbahn zu pushen. Doch da habe ich nicht mitgemacht.«
»Mann, ich dachte, heute abend würde nicht gefachsimpelt,«, beschwerte Paul sich bei Marty.
»Was hat Ihre Mutter gemacht, Lila?« ließ Marty nicht locker.
»Viel«, schnurrte sie.
Er lachte. Die Frau gefiel ihm. Auch Paul wurde in ihrer Gegenwart wieder der alte. Nur Bethanie fühlte sich an diesem Abend keineswegs wohl. Das konnte ihr niemand übelnehmen. Sie verlor soeben die Chance ihres Lebens.
Marty lächelte Lila an. »Ich meine, was hat sie im Leben gemacht? War oder ist sie glücklich? Hat sie viel verdient, oder war sie von Geburt an reich?«
»Sie ist arm zur Welt gekommen und aus eigener Kraft reich geworden. Ich wurde reich geboren und gedenke das auch zu bleiben. Auf welche Weise, kann ich noch nicht sagen. Meine Mutter war begabt. Ich sehe ihr nur ähnlich. « Mit einem, leichten Senken des Kopfes deutete sie dem Kellner an, daß sie noch einen Manhattan wünschte. Marty bestaunte die Geste, die ihm vertraut war. Lila sah ihn an. »Sie wurden arm geboren und sind nun reich, Paul kam arm zur Welt, wurde reich und dann wieder arm und wieder reich.« Sie lachte ein gutturales Lachen.
»Du könntest auch Erfolge einheimsen. Deine Mutter hatte nicht in allem Unrecht. Du gleichst ihr sehr. Das weißt du auch«, warf Paul ein. Sie hatten beschlossen, sich zu duzen, weil alles andere unglaubhaft gewesen wäre, obwohl Lila keine Vertraulichkeit mit Paul Grasso wünschte.
Plötzlich dämmerte es Marty. Natürlich! Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter und ihrem berühmten Vater, der fast zu schön für einen Mann war. Marty lächelte. »Theresa O'Donnells Tochter!«
Lila hätte es ihm sicher etwas leichter machen können. Doch sie gehörte offenbar nicht zu der Sorte, die mit dem Starruhm ihrer Eltern prahlte.
Sie sprachen über die alten Filme, über die Marty und Lila bestens Bescheid wußten. Lila erzählte von ihrer Jugend und von ihrem Vater, den sie nur aus seinen Filmen kannte, weil er starb, als sie noch klein war. Marty lauschte andächtig.
Bethanie fühlte sich abserviert. Sie schaltete sich darum mit einer Frage ein.
»Wie ist es denn, als Tochter einer Theresa O'Donnell und eines Kerry Kyle aufzuwachsen? Da gibt es doch bestimmt jede Menge Vorteile.«
»Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich nie anders gefühlt als die anderen. Ich war viel allein. In die Schule ging ich mit Kindern aus meinem Kreisen. Wir saßen alle im gleichen Boot.«
Bethanie schwieg eingeschüchtert.
»Auf der High School wurde es nicht anders. Wahrscheinlich bin ich zu behütet aufgewachsen. Ich habe vieles einfach vorausgesetzt. An verschiedene aufregende Ereignisse erinnere ich mich aber noch heute.« Sie sah sich um, erwartete die ungeteilte Aufmerksamkeit. »Einmal hat Onkel Cary bei uns zu Haus den Weihnachtsmann gespielt. Er nahm mich auf den Schoß. Ich merkte sofort, daß es Cary Grant war. Meine Mutter hat ja alle seine Filme, und ich kannte sein Bild und die Geschichten über ihn aus den Illustrierten. Er hatte silberfarbenes Haar, war nicht mehr jung, sah aber noch blendend aus. Doch ich war so enttäuscht, weil ich mir einen echten Weihnachtsmann gewünscht hatte, keinen alten Schauspieler. Also rutschte ich heulend von seinem Schoß und ließ mich nicht überreden, wieder zu Onkel Cary zurückzugehen. Ich wußte damals nicht, warum alle lachten.«
Bethanie sprach aus, was alle dachten. »Cary Grant ist zu Ihnen ins Haus gekommen, um den Weihnachtsmann für Sie zu spielen?« Sie lachte geziert. »Also, ich bitte Sie, Lila!« Sie machte deutlich, daß das Thema damit für sie erledigt war.
Lila wirkte fast verlegen. Martys geschultem Auge entging nicht, wie sie noch schöner wurde als die weiße Haut sich mit einer leichten Röte überzog. Sie ist attraktiver als ihre Mutter und hat die Augen ihres Vaters, die Haut von Merle Oberon, die Stimme von Laureen Bacall, den Körper von Ann-Margret, nur größer, zog Marty Bilanz.
Lila machte eine geringschätzige Bewegung mit der Schulter. »So ist es immer, wenn ich aus meiner Kindheit erzähle. Die Leute werden eifersüchtig.«
Bethanie lachte nicht mehr. »Eifersüchtig bin ich nicht. Ich glaube Ihnen nur nicht. Ich kann mir Cary Grant nicht als Weihnachtsmann mit Bart vorstellen, der sich eine kleine Rotznase auf den Schoß setzt. Warum sollte er auch?«
»Weil er meine Mutter bumsen wollte. Darum. Aber was spielt das schon für eine Rolle?«
Marty gab Bethanie in diesem Augenblick den Laufpass. Er starrte nur noch Lila an. Er sah nicht nur ihr Äußeres. Ihre Haltung imponierte ihm, auch ihre Intelligenz und er vermutete, daß sie Talent hatte. Er wußte, daß sie fotogen war und in jedem Wohnzimmer Amerikas willkommen sein würde. Sogar in jedem Schlafzimmer. Hatten Lila und Paul das alles inszeniert? Doch an sich kümmerte das Marty wenig. Selznick hatte sich auch nicht beschwert, als sein Bruder am Abend vor den Aufnahmen zu Vom Winde verweht plötzlich Vivien Leigh anbrachte. Marty erkannte seine Chancen, wenn sie in Reichweite kamen.
»Lila, ich glaube Paul hat recht. Sie sollten ernsthaft über die Rolle im Fernsehen nachdenken«, drängte Marty.
»Fernsehen ist Schwachsinn.«
»Nicht, wenn ich Regie führe.«
»Aber Sie machen doch nichts fürs Fernsehen.«
»Jetzt wohl, und das wird bahnbrechend für die Zukunft sein.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Keineswegs. Rufen Sie mich morgen an. Vielleicht kann ich Ihnen einen Vorschlag machen.«
Lila legte den Kopf zurück, so daß ihr langes rotes Haar über die Rücklehne ihres Stuhls fiel.
Paul Grasso hatte schon zu lang geschwiegen. »Herrgott, Lila, sag einfach >danke, Mr. DiGennaro< und dann gib mir einen Kuß, weil ich dich zum Abendessen mitgenommen habe. «
Lila lächelte. »Danke, Marty. Ich werde Ihnen meine Nummer geben.« Dann wandte sie sich an Paul Grasso. »Für die Küsserei ist es noch etwas zu früh, Paul. Ich hab noch nicht mal mein Dessert bestellt.«